top of page

gender design | 2019 | expert interview ZHdK

I interviewed the gender researcher Uta Brandes as a theoretical industrial design term paper at the ZHdK. She is a German design expert, theorist and author.From 1995 to 2015, she was Professor of Gender and Design and Design Research at the Köln International School of Design and founded the iphigenia Gender Design Award in 2017. 

Ich betrete die Migros City. In meiner Hand ein Einkaufszettel. Nach Brot, Käse, Pasta und WC-Papier als vierter Punkt: Rasierer. Ich versuche mich im Geschäft zu orientieren und finde mich in der Kosmetikabteilung vor dem Regal der «Damenrasierer» wieder. Vor mir eine erschlagende Auswahl an Rasierern, deren einziger Unterschied der Pastellfarbton zu sein scheint. «Venus» oder «miss soleil»? Rosa oder hellrosa? Ich nehme den günstigsten für 14.95 CHF. Weiter auf der Suche nach Wattestäbchen, Punkt fünf auf meiner Liste, begegne ich dem Regal der Herrenrasierer und sehe den «Mach3 Turbo» für 5.95 CHF.

 

Dieser Einkauf ging mir nicht wieder aus dem Kopf. Ich fing an mich mit Gender Design zu befassen und mich im Rahmen des Industriedesign-Studiums mit der Analyse unterschiedlicher Produkte in der Spielwaren-, Elektronik- und Kosmetikabteilung zu beschäftigen. Meine Beobachtungen liessen mich empören und warfen Fragen auf. Zu oft werden die Artikel in binäre Gruppen, meist «male/boys» und «female/girls» genannt, aufgeteilt. Durch die Recherche bin auf Texte zum Thema Gender Design von Uta Brandes gestossen. Diese haben mich inspiriert und mein Interesse und das Bewusstsein über die Dringlichkeit der Thematik bestärkt. Ich hatte die Chance, nach Köln zu fahren, um Uta Brandes einige meiner Fragen persönlich zu stellen. 




 

 

 

 

 




 





Uta Brandes | Illustration von Eileen Good




 

Köln, 5.11.2019, 15.00 Uhr 

Als Designstudent:innen müssen wir im Studium immer wieder Zielgruppen definieren. Dabei unterteilen wir diese in Kategorien, unter anderem auch in «männlich» und «weiblich». In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau sagen Sie, die Eindimensionalität spezifischer Zielgruppen sei gestrig[1]. Wie können wir mehr Offenheit im Designprozess erreichen?

 

Eine möglichst offene Gestaltung, die in der Anwendung, im Gebrauch und im Nutzen Individualisierung zulässt, wäre optimal. Das ist aber leichter gesagt als getan. Je komplexer die Produkte sind, desto komplizierter ist dieser Prozess. Starre Zielgruppen zu definieren hilft dabei sicher nicht! Das vernachlässigt die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft. In einer Woche bin ich teil von verschiedensten Zielgruppen, je nach dem, was ich gerade mache. Wenn ich unter Zeitdruck arbeiten muss, bin ich eine andere Zielgruppe als wenn ich Freunde treffe und wiederum eine andere, wenn ich ausgehe oder einkaufe. Bedürfnisse diversifizieren sich, die kann man nicht einfach in die Definition einer Zielgruppe packen. Vor diesem Hintergrund machen Kategorien wie «alte Frauen» oder «junge Männer» wenig Sinn.

 

Auf welche Weise könnten wir dann Zielgruppen sinnvoll in den Designprozess integrieren?

 

Sie brauchen schon das Wort «Prozess», das ist gut! Ich denke es ist sinnvoller sich auf das Umfeld zu konzentrieren, in welchem Produkte genutzt werden. Und das ist nichts festgemachtes, sondern etwas prozessuales, situatives. Wenn man einen Stuhl für eine Bar oder einen Club gestaltet, dann ist das etwas anderes, als wenn dieser im Büro stehen wird. Nicht nur das Produkt selber wird je nach Kontext ein anderes, sondern auch das Verhalten der Menschen ändert sich. Sinnvoller als eine Zielgruppendefinition fände ich so etwas wie ein wolkiges Umfeld.

 

Also auf den Beschrieb dieser einen Persona zu verzichten?

 

Ich hasse Persona übrigens! Die machen alles entsetzlich. Zum Beispiel: Emma, 53, sie liebt Süssigkeiten und so weiter – und dann gibt es auch immer noch so ein Bild dazu. Dieses ganze Produkt – alles fände ich dann furchtbar, weil ich diese Persona nicht mag, die ich da sehe. Dann denke ich etwas wie: «Sie ist so alt und tut als ob sie eine Oma wäre» und schon lehne ich das ab. Was mich jetzt betrifft, wäre das völlig kontraproduktiv.

 

In ihrem Buch Gender Design[2] beschreiben Sie, dass binär gegenderte Produkte Gender-Stereotypen bedienen, herstellen und demonstrieren. Messen Sie dem Produktdesign damit nicht zu viel Gewicht bei?

 

Produkte haben ziemlich oft eine verstärkende Wirkung und ich behaupte sogar, dass manchmal Gender-Stereotypen erst durch Produkte initiiert werden. Mit nicht gendersensibel gestalteten Produkten wirft man Menschen auf das binäre System zurück. Produkte symbolisieren welchem Geschlecht man angehört, teilen einem ein, steuern Verhaltensweisen. Sie haben Deutungshoheit und üben Macht aus. «Du bist eine Frau und deswegen ist das für dich in dieser Weise zu handhaben.»

Das heisst vielleicht wäre ich mir im Vornherein gar nicht im Klaren gewesen – Mann, Frau, was bin ich eigentlich? Oder welche Produkte brauche ich? Aber weil mir das schon als kleines Kind mit Spielzeugen vorgegeben wird, werde ich dogmatisch darauf gepolt.

 

Judith Butler beschreibt den Prozess des konstanten Reproduzierens und Inszenierens von weiblichen und männlichen Attributen durch zum Beispiel Kommunikation, Kleidungsstil, Accessoires etc. als Doing Gender[3]. Anschaulich beschreibt sie den Prozess als «Tat ohne Täter». Können demnach gendersensibel gestaltete Produkte helfen Doing Gender zu überwinden?

 

Ganz sicher. Das wäre im besten Sinne «undoing Gender». Wenn die gendersensiblen Produkten gut gestaltet und die Nutzer:innen damit zufrieden sind, ist man raus aus dieser «Genderfalle».

Das ist ja der Vorteil von Design, dass man etwas ausdrücken kann – zum Beispiel durch Produkte – und nicht jedes Mal ein Vortrag halten muss. Wenn Produkte gut und klug entworfen werden, mit einem Bewusstsein für die vielen verschiedenen Leute, die sie nutzen werden, dann werden die Menschen irgendwann auch nicht mehr nach pinken Rasierern fragen.

 

Eine Zürcher Brillenmarke hat eine geschlechtsneutrale Farbpalette für die neue Kollektion der Kinderbrillen gewählt. Nach kurzer Zeit auf dem Markt, gab es viele Rückmeldungen von Kund:innen mit dem Wunsch nach rosa und blauen Brillen für ihre Kinder. Das Unternehmen beugte sich diesem Wunsch. Wie hätte dieses alternativ handeln können?

 

Das ist super schade, dass es bei diesem Beispiel schief gegangen ist. Da sieht man wie tief diese Klischees sitzen, mit denen wir aufgewachsen sind. Wir wissen jetzt zwar nicht inwiefern die Kinder in den Kaufentscheid einbezogen wurden, doch oft wollen diese wirklich mal Prinzessin oder Polizist sein, unabhängig der Erziehung. Das hat auch etwas mit Identifizierung zu tun. Die Kinder werden irgendwann mit den Geschlechtern konfrontiert, identifizieren sich als Mädchen oder Junge und erfahren vielleicht, dass es auch noch Geschlechter dazwischen gibt. Vermutlich brauchen wir in unserer Entwicklung solche Phasen der Identifikation. Wenn das Umfeld aber stimmt, dann bleiben das Phasen, welche man hinter sich lassen kann um Neues auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. Was das Unternehmen in diesem Fall hätte tun können ist eine schwierige Frage. Man könnte diese neue Kollektion mit Aktionen zu Thema begleiten. Mit einer Art spielerischen Aufklärung. Beispielsweise Spielabende, bei denen man Papierbrillen bastelt und die Farben von den Kindern selbst gewählt würden. Aber das ist natürlich sehr viel Aufwand für so ein Unternehmen.

 

Brands wie Apple und Aesop arbeiten mit minimalistischer, einheitlicher Formensprache und dezenten Farben. Sie nennen diese Brands als ideales Beispiel für einen gendersensiblen Designauftritt. Mir fällt dazu noch Muji ein. Sie alle arbeiten mit dezenten Farben; grau, braun, beige, weiss … Heisst das, dass die Zukunft nicht mehr bunt sein darf?


Apple Airpods     Aesop Gesichtspflege     Muji Pop-Up Toaster

 

Eine schöne Frage. Ich glaube man kann Farben benutzen – knallige Farben. Ich würde mich immer für klare Farben entscheiden, so Popart-mässig. Schwieriger sind diese Pastelltöne, weil die sehr stark mit einem Geschlecht assoziiert werden. Mir geht das ja auch so, egal ob ich das gut finde oder nicht. Es ist in all unseren Köpfen. Vielleicht müsste man sich darum erst einmal einer anderen Palette bedienen, um diese Eindeutigkeit wegzukriegen. Mit der Zeit könnten die Pastellfarben dann wieder unbelastet zur Auswahl stehen. Eine andere Strategie wäre Produkte in einer sehr breiten Farbpalette anzubieten, um von dieser binären Frau/Mann-Geschichte wegzukommen. Ich fände es okay, wenn es die gleiche Brille in Grün, Holz- oder Sandtönen und dann auch noch in Rosa geben würde. So hat man die Wahl und muss sich nicht «eindeutig» positionieren.

 

Sprechen wir noch von den Formen: Bei einer kleinen Feldforschung stellte ich fest, dass bei den Produkten für Frauen erkennbar rundere, organische, integrative Formen gewählt werden. Zum Teil wird sogar die idealisierte, weibliche Silhouette aufgenommen. Der Gesamteindruck ist beruhigend und sanft. Bei den Männern sind die Formen kantiger, eckiger, geometrischer und additiv. Hier ist der Gesamteindruck aufregend, technisch und stark. Wie beeinflusst dies das Selbstbild der

Konsument:innen?

Nivea dry active «female»           Nivea dry active «male»

 

Sie fühlen sich zum Produkt hingezogen, welches auf ihre Geschlechteridentität abzielt. Die Konsument:innen werden gezwungen, sich zu positionieren. Design kann sehr autoritär sein. Ich fand sehr schön, wie Sie gerade diese integrative Gestaltung der additiven gegenübergestellt haben. Diese

formalästhetischen Massnahmen erzeugen ihre Wirkung, auch wenn diese oft nicht bewusst wahrgenommen wird. Vor die Wahl gestellt, fühlen sich die spezifischen Zielgruppen zu einem Produkt hingezogen. Sie denken: «Ja, klar: Das hier sind meine Produkte, da gehe ich hin.» Gefragt warum, würden diese wohl entgegnen: «das ist ja für Männer». Und wenn man dann anmerkt, dass wahrscheinlich das Gleiche darin ist wie in der anderen Ausformung, herrscht Verwirrung. Es wäre schön, ein Regal zu haben, das kunterbunt ist; also sämtliche Deodorants und sämtliche Cremes gemischt werden. In tatsächlich nützliche Kategorien wie «trockene Haut» und «fettige Haut» unterteilt. Solche Tricks würden vielleicht nicht alle Probleme lösen, aber doch eine gewisse Offenheit zulassen. Wenn das blaue und rosarote Deodorant erstmal gemischt in einem Regal stehen, könnte es sein, dass plötzlich andere Aspekte den Kaufentscheid beeinflussen. Zum Beispiel der Preis, der bei «Frauenprodukten» oft höher ist als bei ihren männlichen Pendants.

 

Wie gehen Sie dann vor, wenn Sie beispielsweise einen Nassrasierer kaufen möchten?

 

Das ist in der Tat wirklich kompliziert. Irgendwann entsteht da auch eine Art «Brand-Addiction», wenn man sich an eine Marke gewöhnt hat und diese dann immer und immer wieder kauft.

Bei den Nassrasierern wäre das bei mir der «Venus» von Gillette – ich hasse den Namen und die Verpackung und alles, aber ich finde den Rasierer ganz gut. Wahrscheinlich war das ursprünglich bei mir ebenfalls so, dass ich automatisch zum «Frauenabteil» gegangen bin und diesen dort gefunden habe. Das waren auch häufig die grösseren Abteilungen und jetzt bin ich bei diesem Rasierer geblieben. Man sieht, ich bin nicht unbedingt besser, obwohl ich mich tagtäglich damit beschäftige.

 

Auch hier soll es ja um den Service gehen und nicht darum, wer diesen nutzt. Denn die Klingen für die Gesichts-, Intim- oder Beinrasur sind anders…

 

Genau! Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern kommt auf die Art der Haare an; ob es sehr harte oder ganz weiche sind. Es spielt dabei keine Rolle ob sich eine Frau oder ein Mann rasiert. Alles wäre so einfach, wenn man Produkte auf die Funktion, in diesem Fall die Art der Haare, beschränken würde.

 

Anja Kirig und Verena Muntschick meinen, dass viele Hersteller:innen bereits heute vermehrt auf unisex oder nosex setzten, was vor allem bei Jüngeren gut ankomme[4]. Diese Zukunftsprognose stimmt mich sehr hoffnungsvoll. Schätzen Sie die Zukunft ähnlich optimistisch ein?

 

Trotz vieler Rückschläge, die einem im Alltag begegnen, bin ich sehr optimistisch, dass ein Bewusstsein über Stereotype und Produkte, die diese vermitteln, zunimmt. Bei Jüngeren natürlich viel mehr, weil sie noch weniger stark geprägt sind als die Älteren. Aber an die Begriffe wie unisex und nosex glaube ich nicht. Meiner Meinung nach gibt es nicht nur ein Geschlecht, sondern viele. Insofern glaube ich nicht, dass wir neutral sein können. Wie sollte man auch «neutral» gestalten können? Es gibt keinen neutralen und keinen unisex-Menschen. Da müsste schon jemand von ausserhalb der Erde kommen. Dieses Wesen, welches Gender nicht kennt, könnte dann unisex sein. Aus diesem Grund sage ich immer gendersensibel.

Ich denke, dass es ein grösseres Bewusstsein für diese Thematik gibt als auch schon. In vielen Bereichen werden Genderdiskussionen und Genderforschung betrieben. Nicht mehr nur in der Wissenschaft, sondern auch im Alltag und in der Politik. Das hat unter anderem die MeToo-Debatte eindrucksvoll gezeigt. Immer mehr Menschen werden damit konfrontiert. Es ist ein präsentes Thema und ich denke Unternehmen können es sich immer weniger leisten sich nicht damit auseinanderzusetzen. Darum neige ich auch mehr zu Optimismus als Pessimismus.

 

Ein wunderbarer Schlusssatz. Vielen lieben Dank Uta Brandes!




 

[1] Interview Frankfurter Rundschau „Ich würde nie eine rosa Bürste kaufen“, 03.07.2017: https://www.fr.de/politik/ich-wuerde-eine-rosa-buerste-kaufen-11635487.html 191110, 13.55

[2] Brandes, Uta. Gender Design: Streifzüge zwischen Theorie und Empire. 2017

[3] Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1991

[4] Zukunfts Institut: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/von-gendering-ueber-unisex-zu-post-gender/. 191110, 16.10

Bildschirmfoto 2020-12-02 um 12.18.53.pn
Bildschirmfoto 2020-01-16 um 21.17.49.pn
MRXJ2.jpg
aesop_resurrection.aromatique.hand.balm_
DSC_7773.jpg
DSC_7770.jpg
bottom of page